Migration, Flucht, Integration – ein Überblick

Menschen waren, sind und werden aus den unterschiedlichsten Motiven immer in Bewegung sein. Mit den Migrations- und Flüchtlingsbewegungen des 21. Jahrhunderts hat das politische, mediale und gesellschaftliche Interesse an diesen Themen weltweit erheblich zugenommen. So auch im von Migration geprägten Deutschland, in dem aktuell gut jede vierte Person einen Migrationshintergrund hat.

Was ist Migration? Wer ist Migrant*in?

Grundsätzlich versteht man unter Migration die „längerfristige Verlegung des Lebensmittelpunktes über eine größere Entfernung und administrative Grenze hinweg“.[1] Touristische Reisen oder das tägliche Pendeln werden somit mit dem Begriff nicht abgedeckt. Theoretisch können unter Migration sowohl räumliche Bewegungen innerhalb eines Staates (= Binnenmigration) als auch das Überschreiten politisch-territorialer Grenzen verstanden werden,[2] denn es besteht keine Einigkeit darüber, wie lange der Zeitraum und wie groß die Entfernung sein muss, damit eine räumliche Bewegung als Migration gilt. Orientiert man sich jedoch an der Interpretation der Vereinten Nationen, spielt das Passieren einer Staatsgrenze eine Rolle – eine Verlegung des Wohnsitzes in ein anderes Land für die Dauer von drei bis zwölf Monaten wird als temporäre Migration und gleiches für länger als ein Jahr als dauerhafte Migration charakterisiert.[3] Menschen, die sich in einem Migrationsprozess befinden, sind Migrant*innen. Wie lange eine Person nach abgeschlossener Migration als Migrant*in gilt, ist sowohl von der Eigen- als auch von der Fremdwahrnehmung abhängig – Einfluss auf die Zuschreibung als Migrant*in haben Fremdheitserfahrungen, rechtliche Einschränkungen oder kulturelle Unterschiede.[4] Migrant*innen sind nicht unbedingt „Ausländer“, denn sie können die Staatsbürgerschaft eines Landes entweder schon besitzen oder haben in vielen Nationalstaaten die Möglichkeit, diese beispielsweise durch ein Einbürgerungsverfahren zu erwerben.

Gründe für Migrationsentscheidungen

Die Gründe, die Menschen dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen, sind vielfältig. In der Migrationsforschung wird im Allgemeinen zwischen Push- und Pull-Faktoren differenziert. Push-Faktoren beschreiben abstoßende Bedingungen im Herkunftsland, das heißt solche, die das Leben dort unbefriedigend oder sogar unerträglich machen. Zu nennen sind hier zum Beispiel Krieg, Gewalt, Terror, Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung oder Verfolgung aufgrund von Ethnie, Religion, Geschlecht, politischer Einstellung oder sexueller Orientierung, Umweltkatastrophen, Armut und Verelendung.[5] Mit Pull-Faktoren sind anziehende Bedingungen im Zielland gemeint, die eine Verbesserung des Lebensstandards versprechen. Für viele Migrant*innen wirkt der Ruf Deutschland als wirtschaftlich starkes, politisch stabiles und sozial sicheres Land beispielsweise attraktiv.[6] Teilweise verstärken Zielländer durch konkrete Anwerbemaßnahmen (Bsp. „Gastarbeiter“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) oder andere politische Signale darüber hinaus ihre Anziehungskräfte.[7]

Rechtliche Rahmenbedingungen

Im internationalen Recht definiert die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (novelliert 1967), welche Personen als Flüchtlinge gelten, welcher rechtliche Schutz ihnen zusteht und sie verpflichtet darüber hinaus die 148 Staaten, die die Konvention unterzeichnet haben, zur Aufnahme dieser. Die Aufnahme von Migrant*innen wird jedoch weitgehend der Souveränität der Nationalstaaten überlassen, denn die leitende Annahme ist, dass Migrant*innen im Gegensatz zu Flüchtlingen nicht gezwungen seien, ihr Herkunftsland zu verlassen.[8] Das Problem, dass Migrationsentscheidungen sich jedoch häufig nicht eindeutig in freiwillig und erzwungen kategorisieren lassen, sorgt wiederkehrend für politische und gesellschaftliche Konflikte – auch innerhalb der Europäischen Union.
In Deutschland besteht gemäß Artikel 16a des Grundgesetzes (GG) ein Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte.

Deutschland – ein von Migration geprägtes Land

In Deutschland gab es immer beides – Phasen der Einwanderung sowie Phasen der Auswanderung. Die langfristige historische Betrachtung zeigt jedoch, dass Deutschland sich „von einem Transit- und Auswanderungsland zu einem Einwanderungsland entwickelt“.[9] Im 19. Jahrhundert sorgten Armut und Arbeitslosigkeit für eine so große Auswanderungswelle Richtung Amerika, dass deutsche Einwanderer in den USA gegen Ende des Jahrhunderts die größte ausländische Bevölkerungsgruppe waren.[10] Die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus und die damit einhergehenden antisemitischen Gesetze und Übergriffe führten zu Fluchtwellen jüdischer Bürger*innen und anderer Verfolgtengruppen. Das NS-Regime verschleppte zur selben Zeit eine große Zahl an Zwangsarbeiter*innen nach Deutschland. Zu Ende des 2. Weltkriegs sorgten die Alliierten für die Rückführung dieser Zwangsarbeiter*innen. Gleichzeitig flohen Millionen Deutsche oder wurden Richtung Westen vertrieben.[11] Als die Wirtschaft in der Bundesrepublik wieder erblühte, wurden dringend Arbeitskräfte benötigt, sodass die Bundesrepublik ab 1955 ein Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, der Türkei und anderen Ländern einging.[12] Einige der „Gastarbeiter*innen“ blieben auch nach Anwerbestopp in Deutschland und holten Familienangehörige nach. Die DDR versuchte, ihren Mangel an Arbeitskräften über Anwerbeabkommen mit befreundeten sozialistischen Staaten wie Vietnam, Mosambik, Angola oder Kuba zu decken. Schließlich führten Wiedervereinigung und EU-Freizügigkeit dazu, dass Deutschland im 21. Jahrhundert zu einem attraktiven Land für Asylsuchende und Migrant*innen geworden ist.

Was versteht man unter Integration?

In einem von Migration geprägten Land wie Deutschland spielt das Thema Integration eine große Rolle. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) definiert als Ziel von Integration aktuell folgendes: „Ziel von Integration ist es, alle Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in unserem Land leben, in die Gesellschaft einzubeziehen. Dabei betrifft Integration uns alle – Alteingesessene ebenso wie Zugewanderte“.[13] Was Integration bedeutet, wird jedoch von Zuwanderern und Mehrheitsgesellschaft ständig neu ausgehandelt und unterliegt gesellschaftlichem Wandel. Im Fokus der Diskussion stehen Fragen nach dem Ermöglichen ökonomischer, politischer, religiöser, rechtlicher und gesellschaftlicher Teilhabe von Migrant*innen.
Share on email
Per E-Mail teilen
Share on whatsapp
Per WhatsApp teilen
Share on facebook
Auf Facebook teilen

[1] Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Migration, in: Bundeszentrale für politische Bildung, o. D., [online] https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/ [18.12.2020].

[2] Vgl. Oltmer, Jochen: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., München: Verlag C.H.Beck, 2016, S. 9 f.

[3] Vgl. United Nations Department of Economic and Social Affairs: Refugees and Migrants. Definitions, in: United Nations, o. D., [online] https://refugeesmigrants.un.org/definitions [18.12.2020].

[4] Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, o. D.

[5] Vgl. Luft, Stefan: Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen, 2. Aufl., München: Verlag C.H.Beck, 2017, S. 19.

[6] Vgl. Luft, Stefan, 2017, S. 7.

[7] Vgl. Luft, Stefan, 2017 S. 15 f.

[8] Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, o. D.

[9] Bundeszentrale für politische Bildung, o. D.

[10] Vgl. Bade, Klaus J. et al. (Hrsg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 3. Aufl., Paderborn/München/Wien/Zürich: Verlag Wilhelm Fink/Ferdinand Schöningh, 2010, S. 146 f.

[11] Vgl. Bade, Klaus J. et al. (Hrsg.), 2010, S. 147-153.

[12] Vgl. Bade, Klaus J. et al. (Hrsg.), 2010, S. 159 ff.

[13] Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Warum Integration so wichtig ist, in: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, o. D., [online] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/integration/integration-bedeutung/integration-bedeutung.html [18.12.2020].

Bade, Klaus J. et al. (Hrsg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 3. Aufl., Paderborn/München/Wien/Zürich: Verlag Wilhelm Fink/Ferdinand Schöningh, 2010.

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Warum Integration so wichtig ist, in: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, o. D., [online] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/integration/integration-bedeutung/integration-bedeutung.html [18.12.2020].

Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Migration, in: Bundeszentrale für politische Bildung, o. D., [online] https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/ [18.12.2020].

Oltmer, Jochen: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., München: Verlag C.H.Beck, 2016.

United Nations Department of Economic and Social Affairs: Refugees and Migrants. Definitions, in: United Nations, o. D., [online] https://refugeesmigrants.un.org/definitions [18.12.2020].

Luft, Stefan: Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen, 2. Aufl., München: Verlag C.H.Beck, 2017.